Striebel, T.: Künstliche unterirdische Hohlräume - Versuch einer vorläufigen Klassifizierung ohne jeglichen Anspruch auf Vollständigkeit
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A. Anlagen, die häufig oder grundsätzlich im anstehenden Gestein angelegt und meist nicht gemauert sind
1. Bergwerke
Bergwerksanlagen und Sondierstollen dienten und dienen zum Untertageabbau von Bodenschätzen oder Gesteinsmaterial. Sie sind im anstehenden Gestein angelegt.
Eine grobe Untergliederung kann erfolgen in: Erzbergbau (Abbau von Vererzungsadern oder Lagern), Kohlebergbau (Flöze, Lager) und Abbau von Gips, Kalk, Kaolin oder Sand in Lagern i. w. S. (letztere in Gebieten mit Sandsteinen als Stubensandsteinhöhlen, Silbersandhöhlen usw. bezeichnet, weit verbreitet und zur Fegsandgewinnung angelegt).
Historische Bergwerksanlagen sind nicht immer einfach als solche zu klassifizieren. Hinweise ergeben sich u. U. aus der volkstümlichen Bezeichnung (z. B. Venedigerlöcher, Venetianerhöhlen, Zwerglöcher).
Die rezenten sekundären Nutzungsformen stillgelegter Bergwerke sind vielfältig: Trinkwassergewinnung, Abwasserentsorgung, Luftschutz, Lager, Mülldeponie (auch Atommüll), speläotherapeutische Einrichtungen, museale Zwecke.
2. Anlagen im Zusammenhang mit der Wasserver- und -entsorgung
Kanate, Brunnenstuben, Galerien: Anlagen zur Wassergewinnung (horizontale Brunnen). Sie können im anstehenden Gestein oder auch in Böden angelegt sein; letztere sind oft in offener Bauweise errichtet und zumindest teilweise gemauert. Ursprünglich aus Persien stammende Technik (arabisch "Qanat"); heute verbreitet vor allem in Asien, Nordafrika und Südeuropa. Jüngere Forschungen belegen die verbreitete Anwendung dieser Wassergewinnungstechnik auch in Deutschland.
Brunnen: weitgehend oder ausschließlich vertikal angelegte Anlage zur Wassergewinnung. Im anstehenden Gestein angelegt zur Erschließung von Grund- oder Sickerwasser oder als Zisterne. Die tiefsten Brunnen in Deutschland, meist im Zusammenhang mit Burgen, sind über 100 m tief.
Wasserstollen: mehr oder weniger horizontal angelegte Stollen zur Zu- oder Ableitung von Wasser (im Bergbau: Wasserlösungsstollen). Je nach lokaler Situation auch in offener Bauweise errichtet, im anstehenden Gestein oder in Böden, gemauert oder nicht gemauert.
3. Frühgeschichtlich bedeutsame Anlagen unterschiedlicher Art
Heidenlöcher oder Heidenhöhlen: vor allem im Bodenseeraum verbreiteter Typ von in den Sandstein gegrabenen Gang- und Raumsystemen. Die Literatur ist spärlich, der Ursprung umstritten. Römische Münzfunde scheinen ein hohes Alter zu belegen. Eine Vermutung schreibt die Heidenlöcher den von den Römern verfolgten Christen zu.
Erdställe oder Schrazellöcher: Systeme enger Gänge und Kammern, oft mit Nischen und Verzweigungen, teils einfach aufgebaut, teils sehr verwinkelt und labyrinthisch. Selten länger als 100 m. Hauptverbreitungsgebiet in Mitteleuropa: Oberpfalz, Nieder- und Oberbayern, Oberösterreich, Böhmen. Bisher nur zwei Anlagen in Baden-Württemberg bekannt. Häufig in Granitgrus (in den Hauptverbreitungsgebieten) oder Sandstein angelegt; Trockenmauern als zusätzliche, oft nachträgliche Einbauten, sonst in der Regel nicht gemauert. Einzelne Objekte wurden mit Bauhilfsschächten erbaut. Praktisch immer im Bereich von Siedlungen oder Wüstungen, unter oder neben Kirchen, Bauernhäusern, Wohnhäusern angelegt. Sie wurden höchstwahrscheinlich bei der mittelalterlichen Besiedlung gemeinsam mit den Gebäuden errichtet (häufige Endungen von Ortsnamen: -ing, -ingen). Zum Zweck der Anlagen gibt es mehrere konkurrierende Theorien (Verstecke, Kultanlagen, Leergräber). Erdställe sind häufig schwierig gegen Bauten anderer Art abzugrenzen und nur bedingt mit den französischen und belgischen Souterrains vergleichbar.
4. Felsenkeller
In allen Festgesteinen, bevorzugt jedoch in Sandsteinen, anzutreffende Bauten mit Räumen und Gängen. Erbaut selten im Mittelalter oder weitaus häufiger in der Neuzeit (18. und 19. Jahrhundert). In der Regel in oder am Rand von Siedlungsgebieten. Die Größe der Anlagen ist sehr unterschiedlich (von 3 m bis über 3 km Systemgesamtlänge). Häufig ist anhand der Ausgestaltung der Zweck zu erahnen (z. B. Sohlenstufen als Faßlager, teils mit Rinne in der Mitte zum Ableiten des Schmelzwassers bei Eiskellern). Die wichtigsten Gründe zum Bau von Felsenkellern waren der Bedarf an Lagern für Bier, Wein, Getreide und Kartoffeln sowie Produktionsstätten für Bier, Wein, Käse, Pilze. Heute liegen häufig Sekundärnutzungen vor (Lagerung von Gerümpel, Müll; Luftschutz). Schwer erklärbar ist der große Rauminhalt mancher Anlagen: um auf kleiner Fläche möglichst viel Kellerraum unterzubringen, wurden bei einigen großen Kellersystemen nur zentimeter- bis dezimeterdicke Zwischenwände stehengelassen, was bezüglich statischer Gesichtspunkte offenbar ausreichend ist. Vor allem im letzten Krieg wurden diese Zwischenwände stellenweise durchbrochen, um dicht beisammen liegende Einzelkeller gemeinsam als Luftschutzanlagen nutzen zu können.
Die Hauptverbreitungsgebiete von Felsenkellern in Süddeutschland sind: Oberschwaben mit Bodenseeraum, Keupersandsteingebiete Baden- Württembergs und Frankens (letzteres mit den größten Anlagen in Nürnberg, Bayreuth, Bamberg). Auch in Thüringen, Sachsen und Böhmen sehr verbreitet.
5. Verkehrstechnische Bauten i. w. S.
Transportstollen: häufig im Zusammenhang mit Berg- oder Tagebauen zum Transport des anfallenden Materials errichtet (für Loren- oder Wirtschaftsbahnen, heute oft für Förderbänder).
Eisenbahntunnels, Straßentunnels u. a. Anlagen.
6. Sonstige
Einige Typen sind weniger bedeutsame bzw. schwer kategorisierbare Einzelanlagen und/oder in Deutschland kaum vorhandene Typen, sie sollen ohne weitere Erläuterungen und ohne Anspruch auf Vollständigkeit kurz aufgezählt werden.
Wohnhöhlen, unterirdische Stadtanlagen, Viehställe, Fluchtgänge, Schwedenhöhlen, Felskapellen, Knabenlöcher, Souterrains, Luftschutzbunker (für Menschen und Produktionsanlagen).
B. Anlagen, die gemauert sind
Diese Klasse von Anlagen neuzeitlicher und rezenter Erbauung und unterschiedlicher Zweckbindung ist speläologisch weniger interessant und soll hier nur zur Vollständigkeit angeführt werden. Hierzu gehören u. a. moderne Straßen-, Untergrundbahn- und Eisenbahntunnels, Versorgungstunnels, Hauskeller, Keller von Industrie- und Wirtschaftsbetrieben, Wasserreservoirs, gemauerte Gewölbekeller (oft in offener Bauweise errichtet und später mit Erde überdeckt), Felsenkeller, die (kurz) nach ihrer Erbauung in weniger standfestem Gestein ausgemauert wurden, Kanalisationssysteme, unterirdisch gelegene Aussparungen in Bauwerken speziell zum Fledermausschutz u. a. m.
Wissenschaftliche Relevanz künstlicher unterirdischer Hohlräume
Da die Speläologie wie kaum eine andere Wissenschaft eine interdisziplinäre Wissenschaft unterschiedlichster Fachgebiete ist, wird hier davon ausgegangen, daß eine wissenschaftliche Relevanz auch eine speläologische Relevanz mit sich bringt.
Hohlräume der Klasse A sind zweifellos die wissenschaftlich interessanteren Objekte. In vielen Höhlenkatastern werden künstliche Hohlräume dann erfaßt, wenn das angrenzende Gestein auf relevanter Fläche aufgeschlossen ist. Diesem Kriterium liegt der Ansatz zugrunde, künstliche Hohlräume ähnlich wie Höhlen als geologische Aufschlüsse zu betrachten und entsprechend zu würdigen. Neben der geologischen Bedeutung sei hier noch die paläontologische Relevanz erwähnt.
Auch in historischer bzw. archäologischer Hinsicht ist die Klasse A besonders relevant, sei es in bergbauhistorischer, besiedlungsgeschichtlicher, volkskundlicher oder industriegeschichtlicher Hinsicht. Es überrascht dabei zunächst etwas, daß vor allem bezüglich der Hohlräume der Gruppen 2. bis 4. trotz ihres in archäologischer Hinsicht geringen Alters große Deutungsschwierigkeiten herrschen und daß diese Anlagen heute zum großen Teil wieder-"entdeckt" werden müssen. Offensichtlich ist dies einerseits dadurch bedingt, daß es sich um Anlagen handelt, die geheim gehalten wurden (insbesondere solche der Wasserversorgung, um das Risiko einer "Brunnenvergiftung" zu minimieren), andererseits erschien den damaligen Zeitgenossen der Bau der Anlagen häufig keiner Erwähnung in Archiven wert. So lassen sich z. B. Brunnen heute oft nur durch indirekte Erwähnungen datieren (z. B. die Rechnung für ein neues Brunnenseil). Sogar die neuzeitlichen Felsenkeller lassen sich selten exakt datieren und ihr Zweck eindeutig belegen. - In einzelnen Fällen kommt auch Objekten der Klasse B eine historische Relevanz zu.
Selbstverständlich sind die Anlagen der Klasse A in biospeläologischer bzw. allgemeiner ökologischer Hinsicht ebenso wie Höhlen relevant. Gerade als Fledermausquartiere weisen sie oft eine erhebliche Bedeutung auf. Verschlüsse und Betretungsbeschränkungen lassen sich bei ihnen "politisch" leichter durchsetzen als bei Höhlen, wodurch sie u. U. die besser zu schützenden Quartiere darstellen. Selbstverständlich kann manchen Objekten der Klasse B auch hier eine gewisse Bedeutung zukommen.
In mineralogischer Hinsicht ist vor allem der Bergbau, insbesondere der Erzbergbau, von Bedeutung, was in der Natur der Sache liegt. Andere Objekte der Klasse A sind hier weniger relevant, ebenso wie Objekte der Klasse B; allenfalls teils üppige Tropfsteinbildung weckt hier das Interesse entsprechend ausgerichteter Speläologen.